Verfassungsgericht kippt Bußgeld für Verstoß gegen Abstandsregeln

Von Ingo Salmen, Der Tagesspiegel vom 26. Mai 2020

Verfassungsgericht kippt Bußgeld für Verstoß gegen Abstandsregeln

Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat in einer Eilentscheidung einen Teil der Corona-Eindämmungsverordnung des Senats außer Kraft gesetzt. Für Verstöße gegen den allgemeinen Mindestabstand von 1,5 Metern dürfen vorläufig keine Bußgelder mehr erhoben werden. Gleiches gilt für das Gebot, die physischen sozialen Kontakte auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Es handelt sich dabei um die in Paragraf 1 niedergelegten Grundregeln für das öffentliche Leben, die auch in weitere Bereiche der Verordnung hineinwirken.

Ein Berliner Rechtsanwalt, der auch schon Verfassungsbeschwerde gegen die Verordnung eingelegt hat, hat die Entscheidung erwirkt. Der Verfassungsgerichtshof gab ihm teilweise recht. Die Bußgeldvorschrift der Verordnung ist nun in diesen beiden Punkten außer Kraft gesetzt, bis ein Urteil zur Verfassungsbeschwerde ergeht, höchstens jedoch für sechs Monate.

Die Abstandsregeln selbst werden vom Gericht nicht beanstandet, sondern die Folgen der unbestimmten Rechtsbegriffe „physisch soziale Kontakte“, „absolut nötiges Minimum“ und „soweit die Umstände dies zulassen“ in der Grundregel des Paragrafen 1. „Die Vorschrift versetzt die Bürgerinnen und Bürger nicht in ausreichender Weise in die Lage, zu erkennen, welche Handlung oder Unterlassung bußgeldbewehrt ist“, heißt es im Urteil. „Diese mangelnde Erkenntnismöglichkeit kann gerade rechtstreue Bürgerinnen und Bürger veranlassen, sich in ihren Grundrechten noch weiter zu beschränken, als es erforderlich wäre, um keine Ordnungswidrigkeit zu begehen.“
 
Das Gericht fordert also, dass die Regelung Handlungssicherheit ermöglichen muss. Eine Bußgeldandrohung von bis zu 25.000 Euro entfalte nämlich „zusätzliche abschreckende Wirkung“, auch wenn „ohne Verfolgungsdruck“ die Bürger dazu neigen könnten, sich nicht mehr an die Abstandsregeln zu halten – mit steigenden Infektionszahlen als Folge, wie das Gericht zugesteht. Es erinnert den Senat jedoch daran, dass dem Senat Zweifel an der Bestimmtheit seiner Regelungen schon aus früheren Entscheidungen bekannt sind, und zeigt ihm zugleich auf, wie sich die Verordnung ändern ließe: Er könne „dieser Gefahr hier sehr kurzfristig begegnen, indem er eine Bußgeldvorschrift erlässt, welche diese Zweifel beseitigt und den Bürgerinnen und Bürgern die notwendige Orientierung über die Sanktionierung von Verstößen bietet“.